Freitag, 12. Oktober 2012

Ready – steady – pump

Bevor wir endlich unseren nächsten Termin in der KiWu-Klinik hatten, mussten wir uns noch eine notariell beglaubigte oder richterliche Zustimmungserklärung vom ansässigen Gericht besorgen, um überhaupt eine künstliche Befruchtung als nichtverheiratetes Paar durchführen lassen zu dürfen. Grundsätzlich finde ich es ja in Ordnung, dass geprüft wird, ob man denn wirklich in einer Lebensgemeinschaft lebt, oder den neu kennengelernten One-Night-Stand als potentiellen Vater seines Reagenzglasbabys auserwählt hat (und dieser natürlich einverstanden ist). Aber aus unserem Blickwinkel betrachtet ist es ganz rational gesehen eine weitere Hürde zum Wunschkind. Ein dir völlig Unbekannter entscheidet, ob du künstlich befruchten darfst und erklärt dir die rechtlichen Folgen. Hat zwar nicht lange gedauert und war auch kein Problem, aber trotzdem komisch.

Mit unserer Zustimmungserklärung im Gepäck betraten wir am Tag X die Klinik. Ich grinste wie ein haschisch-rauchendes Honigkuchenpferd. Nach der Anmeldung folgte eine Blutabnahme und eine Ultraschalluntersuchung bei Mr. T. Da alles in Ordnung war, durfte ich endlich mit der Hormonbehandlung beginnen. Mr. T verschrieb mir einen Nasenspray zum Pumpen. Der sollte meine eigene Hormonproduktion der Hirnanhangdrüse auf Null setzen, bevor ich mit den Hormonspritzen beginnen könnte. Sozusagen wie künstlich erzeugte Wechseljahre. Man soll nämlich (noch) keine Eibläschen bilden und (was noch viel wichtiger ist) keinen natürlichen Eisprung haben. Ziel der Sache ist ja mit den darauffolgenden Hormonspritzen so viel Eibläschen wie nur möglich zu „züchten“, um sie dann bei der Punktion entnehmen zu können. Etwas skeptisch nahm ich die Pumpflasche entgegen und ließ mir die Anwendung erklären. Na gut. War ja nicht allzu schwierig. Morgens, mittags und abends jeweils links und rechts ein Hub. Das sollte ich hinbekommen. Zirka zwei Wochen lang mit zwischenzeitlichen Blutwertkontrollen.

Es konnte endlich beginnen. Die Hormonspiele waren eröffnet.

Nie wieder mache ich mich über Hitzewallungen in den Wechseljahren lustig. Versprochen.

21 20 19 18 17 usw.

Ehrlich, ich hätte nie gedacht, dass ich mir mal Gedanken über eine künstliche Befruchtung machen müsste. Das ist wie bei schlimmen Krankheiten, die bekommen auch immer nur die Anderen. Über solche Themen wird einfach nicht öffentlich gesprochen. Zumindest nicht in meinem Umfeld. Aber es gibt vieles, das nicht öffentlich erzählt wird. Warum zum Teufel erzählt einem eigentlich niemand etwas über Eileiter? Sollten bei der Lieferung „Frau“ nicht aus Prinzip gesunde, durchgängige Eileiter im Gesamtpaket enthalten sein?

Solche und ähnliche Fragen beschäftigten mich zu diesem Zeitpunkt den lieben langen Tag. Meine Familie und meine Freunde wollten mich aufbauen und mir gut zureden. Aber ich fühlte mich einfach nur unverstanden. Sie konnten sich nicht in mich hineinversetzen. Tja, das wunderte mich auch nicht im Geringsten, war doch ich die Einzige in unserem Freundeskreis, die sich über solche Themen Gedanken machen musste. Allein die dreiwöchige Wartezeit war ein purer Horrortrip für mich.

„Was sind schon drei Wochen, die werden wie im Flug vergehen“.

Solche Sätze bekam ich jetzt laufend zu hören. Doch es waren ja nicht nur die drei Wochen. Wir planten unser Wunschkind ja bereits seit Jahren, aber das war ihnen alle in dieser Form nicht bewusst.
In diesen endlos erscheinenden Tagen, war der baldige Hormonstart der erste Gedanke am Morgen und der Letzte vor dem Einschlafen. Ich konnte gar nicht nicht daran denken. Wie mit böser Absicht sieht man nur mehr Schwangere im Fernsehen, Schwangere auf der Straße, man liest über Schwangerschaften, man hört von Geburten. Ich war plötzlich von Schwangeren regelrecht umzingelt. Und als ob das nicht schmerzend genug wäre, sieht man im TV noch die fast minderjährigen dummen Puten, die – ach welch schlimme Vorstellung – ungewollt schwanger wurden.

„Ganz ehrlich, ich habe immer verhütet. Die Pille hat wohl nicht gewirkt, aber ich habe sie ehrlich nie vergessen. Großes Indianerehrenwort.“

Klar. In Österreich muss wohl da und dort ein Pillen-wirk-Funkloch sein. Sicher doch.

Es gab Zeiten, da machte ich um Kinderwägen einen großen Bogen. Der Anblick einer schwangeren Frau ließ mich zusammenzucken. Ringsherum nur mehr Schwangerschaftsinformationen:

„Hast du schon gehört wer schwanger ist?“
„Ich habe Neuigkeiten. Ich bin schwanger.“

Wow. Das wohl faszinierendste Bagatell des Tages. Aller Tage. Kotz. Würg.

Irgendwann kam der Tag, an dem ich mir nur mehr ein riesengroßes, mich verschlingendes Loch wünschte. Meine Mutter, sie meinte es ja wirklich nur gut, rief mich an und gab mir via Telefon (in Anwesenheit ihrer Campingkollegen) Sextips. Stellungen, die für eine Schwangerschaft von Vorteil wären. Und noch einen extrem aufschlussreichen Hinweis am Rande:
„Du solltest jeden Tag Bier trinken. Trink zumindest eine Flasche Bier pro Tag. Bier steigert die Fruchtbarkeit.“
„Gute Idee. Vielleicht schafft es ja in der Entzugsklinik jemand mich im Halbdelirium zu schwängern.“
„Ich meine das wirklich ernst.“
„Ich auch.“

Ich versuchte ihr dann einfach nahe zu legen, dass eventuell (laut Internetrecherchen) Hopfen die Fruchtbarkeit steigert, aber Bier sicher nicht meine verstopften Eileiter reinigen würde. Wir beließen es dabei.

Loch auf – Sandra rein – Loch zu.

Pustekuchen

Auf den Tag der Nachbesprechung freuten wir uns wie kleine Kinder auf die Fahrt ins Ferienlager. Was sollte schon groß passieren? In unserer Vorstellung würden unsere Götter in Weiß bereits das richtige Medikament zur Erhöhung von Hasi´s Spermienquantität bereitgestellt haben und mein gesunder Eileiter würde in kürzester Zeit die gedopten Schwimmer ans Ziel geleiten.

Wir waren einfach zu naiv.

Mr. M holte uns in den Untersuchungsraum. Die beiden Ärzte wechselten sich für unsere Betreuung immer ab. Mir war es egal, waren doch beide wirklich nett.

"So, wie geht es Ihnen? Operation gut überstanden?"
"Jaja, alles in bester Ordnung."
"Mr. T hat ja bereits bei der Visite mit Ihnen alles besprochen, oder? Jetzt planen wir die weitere Vorgangsweise."
"Ja. Ein Eileiter ist unbrauchbar. Endometrioseverdacht hat sich nicht bestätigt."
"Da muss ich ihnen widersprechen. Ein Eileiter ist generell eher unbrauchbar und beim Zweiten wurde zwei Mal ein Kontrastmittel eingespritzt, aber auch der erledigt seinen Job nicht gut. Will heißen, dass Ihre Eileiter für eine natürliche Schwangerschaft eher ausgeschlossen werden können."

Also darauf fiel jetzt nicht mal mir eine Antwort ein. Hasi sah mich ganz entsetzt an.

"Tja, dann habe ich da wohl etwas falsch verstanden", sagte ich ziemlich geknickt. "Was bedeutet das jetzt?"


"Es gäbe grundlegend verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel Verkehr zum Optimum, also Verkehr zum optimalen Zeitpunkt. Diese Methode wird gewählt, wenn die Eileiter erwiesenermaßen durchgängig und voll funktionsfähig sind, und die Samenqualität normal ist. Fällt also bei Ihnen durch Ihre Eileiter weg. Dann gäbe es noch die Insemination. Der Samen des Mannes sollte weitgehend im Normbereich oder knapp darunter liegen. Die beweglichen Samenzellen werden im IVF-Labor isoliert und anschließend in die Gebärmutterhöhle der Frau eingebracht. Hier liegt die Erfolgsrate bei 10 - 15%. Ist nicht gerade viel. Das müssen Sie selbst entscheiden, ob sie es versuchen wollen. Sie können immer mal wieder eine Insemination versuchen, wenn Sie möchten. Aber ich würde eher zu der dritten Möglichkeit raten."

Ganz fest drückte ich Hasi´s Hand. Wir konnten nicht glauben was da gerade geschah. Ich schluckte schwer und hatte das dumpfe Gefühl, als ob wir uns in genau diesem Moment dem dramaturgischen Höhepunkt nähern würden.
Und genau so war es dann auch.

"Mein Vorschlag wäre, dass wir gleich mit einer IVF starten. IVF heißt In Vitro Fertilisation.  Das ist die Methode der Wahl bei Eileiterproblemen (beidseits entfernte oder verschlossene, nicht funktionstüchtige Eileiter). Die Samenqualität des Mannes sollte den Normwerten entsprechen. Nach einer entsprechenden hormonellen Stimulationstherapie wird die Punktion der im Eierstock entstandenen Eibläschen durchgeführt. Die so gewonnenen Eizellen werden im Labor mit den Spermien des Mannes vereinigt. Wenn eine Befruchtung und Teilung der Eizellen stattgefunden hat, werden ein oder zwei Embryonen in die Gebärmutter transferiert. Hier liegt die Erfolgsrate bei ca. 35%. Tja, das wären die zwei für Sie möglichen Optionen. Lassen Sie sich ruhig Zeit bei der Entscheidung."

Ich verstand nur Bahnhof. Nicht weil Mr. M´s Erklärung so kompliziert gewesen wäre, sondern weil ich es einfach nicht raffte. Künstliche Befruchtung? Insemination? So einfach dürfte unser Wunschbaby in der Umsetzung also doch nicht sein, wie wir gedacht hatten. Panik machte sich breit. Ein kurzer Schweißausbruch folgte. Hasi hat es komplett die Sprache verschlagen und auch ich stammelte nur mehr unkontrolliert Geräusche vor mich hin. Kurzzeitig schoss mir die Idee von "Verstehen Sie Spaß" ins Gehirn ein. Aber das war sogar für meine Verhältnisse zu unglaubwürdig. Was hier geschah war mehr eine ganz schlechte Inszenierung von "Gute Zeiten – Schlechte Zeiten".

Und da augenscheinlich der Bedarf an Seifenopern noch nicht gedeckt war, teilte mir Mr. M noch Folgendes mit:
"Übrigens, bei der OP wurden Sie auch gleich am Darm operiert. Ihr Darm war nämlich an der Bauchdecke angewachsen. Das haben wir gleich mitgemacht."

"Schön. Sonst noch etwas?" stammelte ich.
"Nein, sonst ist nichts mehr. Und? Können Sie sich schon vorstellen, wie sie sich entscheiden werden?"

Hasi und ich sahen uns an. Nach kurzem Abwägen der unterschiedlichen Erfolgsraten entschieden wir uns relativ schnell für die IVF. Für uns zählte in diesem Moment nur die Prozentzahl. Über die 10 - 15%ige Insemination wurde nicht einmal richtig nachgedacht.

IVF also. Na gut. Wir hatten uns entschieden. Also los. Her mit den Hormonen. Schlimm genug, dass wir überhaupt eine künstliche Befruchtung brauchten. Aber wenn, dann wollte ich diese sofort. Ich wurde unschön in meiner Euphorie gebremst, als mir Mr. M mitteilte, dass ich zyklusbedingt drei Wochen warten müsste, bis ich mit den Hormonen beginnen könnte.

Drei Wochen? Einundzwanzig Tage! Jetzt warten wir schon so lange auf unser Wunschkind und jetzt müssen wir noch weitere sinnlose drei Wochen absitzen?

Jetzt reichte es aber. Dieser Tag hatte eindeutig zu viele negative Informationen intus. Verstopfte Eileiter, künstliche Befruchtung, lange Wartezeiten, angewachsene Gedärme und relativ schlechte prozentuelle Chancen (denn seien wir uns ehrlich: was sind schon 35%?). Also aufbauen konnte uns das wirklich nicht. Im Gegenteil. Wir waren extrem frustriert und niedergeschlagen.

Der absolute Nullpunkt war somit erreicht.

Die Operation

Vor meiner Operation hat sich noch einiges getan. Wir erzählten es Hasi´s Eltern und Geschwistern, die nicht minder schockiert reagierten als meine Eltern. Außerdem bekam unser Freundeskreis langsam aber sicher auch etwas davon mit (das ließ sich auch gar nicht vermeiden). War auch nicht schlimm. Wir lebten nur mehr nach der Devise "keine Geheimnisse mehr". Und dies inkludierte auch absolute Offenheit, was dieses Thema betraf. Unser Alltag entwickelte sich zwar nicht nach diesem Schema:
"Hallo, wie geht´s wie steht´s? Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen! Ach übrigens: Wir können auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen!"
Aber wenn jemand fragte (und es fragten viele), dann bekam er oder sie alles erklärt. Der Mädchenfreundeskreis war relativ schnell eingeweiht, da ich bei dem Geburtstagsessen von Ela, wegen der Operation am Tag darauf, nicht dabei sein konnte. Und dann nahm das Ganze seinen absolut natürlichen Lauf der Dinge und verbreitete sich wie jede andere Information im Ort.

Am Tag der OP war ich extrem nervös und heulte die ganze Zeit über wie eine Bekloppte vor mich hin. Ohne jeglichen Grund. Ich wurde mit Glücksbringern und Viel-Glück-SMS regelrecht überhäuft. Das tat mir gut und ich war meinen Freunden wirklich dankbar dafür. Wenn ich ehrlich bin, kann ich mich an den genauen Tagesablauf gar nicht mehr so genau erinnern. Ich war viel zu aufgeregt, um mir Details zu merken.
Hasi brachte mich zur Klinik, wir checkten ein und nach den üblichen Untersuchungen und Blutabnahmen dauerte es nicht lange, bis ich in den OP gebracht wurde. Vorher musste ich noch mal so richtig schön heulen. Irgendwie wurde mir alles zu viel. Hasi verabschiedete sich, ich war extrem nervös und meine Y-M-C-A-Vermutung tauchte auch noch einmal kurz auf. Dann wurde alles schwarz. Das Wegschlafen bei einer Narkose hat echt etwas Geniales an sich.
It's fun to stay at the Y-M-C-A.....Y-M-C-A

Das Erste, an das ich mich erinnern konnte war, dass ein sehr verschwommener Mr. T mir den Operationsverlauf und die Resultate erklärte. Wie das eben so ist, wenn man gerade von einer Narkosedröhnung aufwacht, habe ich Folgendes verstanden:
„OP gut verlaufen. Blablabla. Ein Eileiter unbrauchbar. Blabla. Keine Endometrioseherde gefunden. Blabla“.

Ich gab mich mit diesen von mir wahrgenommenen Wortfetzen zufrieden und schlief noch ein wenig weiter. Als ich erneut aufwachte, stand Hasi neben mir und freute sich mich zu sehen. Ich teilte ihm sofort mit, dass alles soweit in Ordnung ist, jedoch ein Eileiter unbrauchbar wäre. War alles nicht so schlimm.
„Hab ja noch einen“.

Es hieß noch die Visite abzuwarten und dann stand einer Heimfahrt nichts mehr im Wege. Mr. T ließ auch nicht lange auf sich warten, warf noch einen kurzen Blick auf meine drei durch die Bauchspiegelung neu erworbenen Schnitte auf meinem Bauch und erklärte mir nochmal alles. Und im Nachhinein bewahrheitet sich folgendes Zitat:

„Wer zuhören kann ist klar im Vorteil“.

Hab ich aber nicht. Für mich war alles klar. Und so verließ ich die Klinik mit folgenden Informationen:
-                     ein Eileiter in Ordnung
-                     ein Eileiter „für´n Arsch“
-                     keine Endometrioseherde gefunden
-                     Termin ausmachen für Nachbesprechung zur weiteren Vorgehensweise

Auftrag: Kurs suchen mit dem Titel „Richtiges Zuhören – Informationen verarbeiten lernen“.