Dienstag, 9. Oktober 2012

Qualität vs. Quantität

Dass sich die Terminvereinbarung für einen Montage-Fahrer als nicht sehr einfach herausstellte, kann sich wohl jeder vorstellen. Dass die Untersuchung in dem verordneten Krankenhaus nur dienstags gemacht wurden, erschwerte dann nochmals.

Naja...3 Wochen später (dienstags) hatte er dann endlich seinen Termin. (Montag Abend von Wien nach Hause,  dienstags nach dem Termin wieder nach Wien).

Ab da hieß es warten. Nach 2 Wochen sollte er sein Ergebnis erfahren.

Ich nahm in der Zwischenzeit – wie mir befohlen – die Clomifen Tabletten. Nicht nur, dass ich mir diese Hormonbombe dezent hätte sparen können, nein....es hätte auch aus damaliger Sicht, ziemlich ins Auge gehen können. Also ich spreche natürlich nur von mir, aber wenn mir mein Arzt diese Tabletten verschreibt, verlasse ich mich darauf, dass er auch weiß was er tut. Ich habe mich natürlich schlau gemacht...blind vertrauen wollte ich ihm ja auch nicht. Clomifen begünstigt die Reifung von Eibläschen, im Fachchargon Follikel genannt. Will heißen, die Möglichkeit von Mehrlingsschwangerschaften ist sehr hoch. Und da mich mein toller Arzt nicht einmal zu einer Ultraschalluntersuchung bestellt hatte um das Ganze zu überwachen...man, ich hätte Vierlinge bekommen können! (wenn nicht im Nachhinein die ganzen anderen Dinge aufgetaucht wären, die eine Schwangerschaft sowieso unmöglich machten)

Es war soweit. Persönliche Befundbesprechung im Krankenhaus (Wieder dienstags! Wieder Montag Abend nach Hause, wieder dienstags nach dem Termin nach Wien).

Und um jegliche Vorfreude auf einen positiven Weiterverlauf gleich mal zu stoppen....

hier der ernüchternde Befund von Spermiogramm Nummer 1:

BESCHISSEN!

Ich möchte nicht zu sehr in medizinischen Details versumpfen.

Ich sage nur Eines: DAS war eindeutig zu wenig!

Wenn geschrieben steht:

Menge 8.000.000 (Norm: >20.000.000)...dann verstanden auch wir, dass das wohl nicht perfekt war.

Der Arzt meinte, dass zwar die Qualität passen würde, aber die Quantität ließe echt zu wünschen übrig. Aber (was für uns eigentlich noch gar nicht relevant war), für eine künstliche Befruchtung völlig ausreichend. Aber an so etwas wollte von uns beiden zu diesem Zeitpunkt noch keiner denken.

Stimmung: leicht deprimiert

Wiedersehen macht Freude...bis in 4 Wochen!

Mr. Sch

Ein neuer Frauenarzt musste her! Besser, schneller und vor allem SOFORT.

Von einer Freundin hatte ich mitbekommen, dass Mr. Sch. Ihr neuer Lieblings-Frauenarzt war. Sie war zuvor auch bei Mr. S. und wechselte auf Grund einer Schwangerschaft. (ich wechselte auf Grund einer Nichtschwangerschaft. Ach diese Ironie.) Mr. Sch. war viel moderner eingerichtet und hatte viel coolere Ultraschallmöglichkeiten. 3D und Videos waren für ihn kein Problem. Und wenn man schon schwanger ist, dann möchte man das schon alles haben. Bei Mr. S. hatte man hingegen den Verdacht, er würde die Bilder noch selber zeichnen.

Die Beiden an der Art ihrer Fortschrittlichkeit zu vergleichen, wäre, als wenn man die erste Schreibmaschine mit dem neuesten PC am Markt vergleichen würde. Da lagen Welten dazwischen!

So weit so gut! Jetzt weiß ich, dass Fortschritt nicht alles ist.

Ich also ans Telefon einen Termin ausmachen. Da wenn ich schon gewusst hätte an was für einen Idioten ich da geraten bin…..

Bereits am Telefon musste ich als „Neukundin“ den Grund meines Besuches angeben. „Kinderwunsch“, sagte ich ganz stolz. Wie es der Zufall wollte, bekam ich 3 Tage später schon einen Termin. Es hatte jemand abgesagt. Das hätte ich bereits als Zeichen deuten sollen.

Voller Vorfreude wartete ich auf meinen für mich zukunftsverändernden Termin. Alles würde jetzt besser werden. Ich würde endlich schwanger werden! Ich setzte soviel Hoffnung in Mr. Sch., dass man glauben könnte, er selbst würde mich schwängern!

3 Tage später begann mein Arzttermin gleich mal mit einer Blutabnahme. Ich hatte meinen Körper noch nicht mal richtig beim  Empfang, zapfte mir eine freundliche Dame bereits 2 Röhrchen ab. Wow! Ich hatte das Gefühl, dass jetzt mal echt etwas weiter ging. Zackig zackig. Blutabnahme. Spitzenmäßig!

Ca. 20 Minuten später saß ich dann in der Ordination von Mr. Sch.

Ich versuche mal das Gespräch wiederzugeben:

„Aha. Kinderwunsch. Seit wann? Aha. Raucherin? Aha. Ich schreibe ihnen eine Überweisung für ihren Partner für ein Spermiogramm. Sie bekommen Clomifen. Offensichtlich ein hormonelles Problem. 2 Monate einnehmen. Kommen sie mit dem Befund des Partners wieder.“

Ich weiß ich weiß…..kein aufschlussreiches Gespräch. Unfreundlich, desinteressiert, stark unterkühlt. Und dennoch: ich war der glücklichste Mensch in jener Minute. Es ging los! Tabletten, Spermiogramm, nächster Termin, Schwangerschaft, Baby, absolutes Glück. So war meine Vision der näheren Zukunft.

Zu Hause angekommen rief ich sofort Hasi an um ihm die tollen Neuigkeiten mitzuteilen. Jetzt war er an der Reihe. Ich musste ja nur Tabletten nehmen. Er tat mir fast ein wenig leid wenn ich ehrlich bin. Angenehm stellte ich mir das Abgeben einer Spermaprobe in einem Krankenhaus ja nicht gerade vor. Aber was sein muss musste sein!

 
Stimmung: voller Vorfreude

Mr. S

Ich nahm also all meinen Mut zusammen und ging zu Mr. S.

Mr. S. ist ein schnuckeliger älterer Arzt, bei dem ich mich immer gut aufgehoben gefühlt habe. Ich sollte vorab erwähnen, dass es nicht an Mr. S. liegt, warum ich nicht mehr bei ihm bin. Er hatte mich sogar schon vor ca. einem Jahr gefragt, ob ich mich bei Gelegenheit mal durchchecken lassen wollte betreffend dem unerfüllten Kinderwunsch. Damals fand ich das (aufgrund meines Lebensmottos „Gut Ding...blabla“) noch ziemlich übertrieben. Ach hätte ich doch bloß auf Mr. S. gehört….

Jetzt konnte es mir nicht mehr schnell genug gehen. Ich erzählte ihm also von meinen Sorgen und meinen Befürchtungen und dass ich so schnell wie nur irgendwie möglich ein Baby wollte. Und was tat er????!!!!! Er gab mir 3 Temperaturkurveblätter mit den Worten: „Messen sie bitte ab jetzt 3 Monate lang ihre Basaltemperatur (morgendliche Temperaturmessung noch vor dem Aufstehen), dann sehen wir weiter“.

Hä?  Hatte ich mich etwa verhört??! Also was genau an „so schnell wie nur irgendwie möglich“ hatte mein Doc nicht verstanden? Der wollte mich wohl auf den Arm nehmen! War das die Rache auf mein Unverständnis vor einem Jahr? 3 Monate jeden Morgen Fieberthermometer in den Po war sein Lösungsvorschlag?

Jetzt praktizierte ich diesen Schwachsinn seit etlichen Monaten und jetzt noch länger?

Ich ging zu ihm, weil ich selbst schon alles gecheckt hatte was man eben selber checken kann. Und dann kam der mir mit Basaltemperatur?


Das war die Geschichte von mir und Mr. S.

Wir hatten viele wundervolle Jahre zusammen. Doch alles hat einmal ein Ende!

...


Ich überlegte mir, nach drei Jahren (sofern keine Schwangerschaft eintreten würde) einen Check machen zu lassen. Bis dahin hatte ich noch ein halbes Jahr Zeit. Ich weiß nicht, was mich dann geritten hat, aber ich entschied mich um und bekam einen regelrechten Stress. Und somit machte ich nach zweieinhalb Jahren meinen ersten "Problemlösungsfrauenarzttermin" aus. Bei dem Arzt meines Vertrauens bekam ich Anfang Jänner auch relativ schnell einen Termin. Der erste Schritt war endlich getan!





Alles Weitere will und kann ich nicht mehr in Phasen unterteilen. Das wäre schier unmöglich. Aber wenn man es versuchen würde, würde sich wohl ein großer Überbegriff herauskristallisieren und wie ein roter Faden durchziehen:  VERZWEIFLUNG!!!

Phase 4: Sollten wir vielleicht? Die Sache mit der Realität.

Ja verdammt! Wir sollten! Wir sollten endlich der Realität ins Auge sehen. Die Monate vergingen und von Schwangerschaft war nicht annähernd etwas zu bemerken.

Es hat sich natürlich in dieser Zeit sehr viel getan. Ich hatte angefangen die Temperatur zu messen, habe halbe Monate damit verbracht mindestens 2 mal pro Tag auf einen weißen Streifen namens Ovulationstest zu pinkeln und habe meinem Körper soviel Gehör wie noch nie geschenkt. (Anmerkung: Ein wirklich tolle Idee, wenn man den Hochofen der Enttäuschung mit ein paar Schäuflein Kohle füttern will. Denn dadurch simulierte mein Körper gut fünfzig Schwangerschaften. Nun: Ich deutete sicher fünfzig. Zwicken im Unterleib, angespannte, juckende Brüste und Sodbrennen. Was sollte es denn sonst sein? Im Endeffekt war es eine verräterische Kombination aus Blähungen und starker Einbildung. Aber das weiß ich jetzt. Damals war ich schwanger. Im Kopf!)


Anfangs haben wir nicht sehr viel darüber gesprochen, Hasi und ich (Hasi hat natürlich einen bürgerlichen Namen). Im Laufe der Baby-warte-Jahre haben wir jedoch lernen müssen über unsere Wünsche, Vorstellungen, Ängste und Zukunftsvisionen zu sprechen. Das war ein langer und oft schmerzlicher Prozess, den wir jedoch gemeinsam bewältigt haben.

Zusammen haben wir bisher auch alles geschafft. Unser Wunschbaby ist eigentlich das Erste, wo es an der Umsetzung etwas haperte.

Es war nicht immer leicht, für keinen von uns. Er ist generell nicht der Typ der lässig über seine Gefühlswelt spricht (obwohl er viel verletzlicher und sensibler ist als es nach außen hin den Anschein hat) und ich hingegen möchte alles bis ins kleinste Detail zerlegen,  aufsplitten und wiederkäuen. Ich bin eine Mensch gewordene Pro-und-Contra-Liste, er hingegen entscheidet (wenn überhaupt) spontan und eher unüberlegt. Ich bin der Denker und Organisierer, er der Macher und Ausführer. Ich bin diejenige, die oft mit ihren Äußerungen und schroffen Art anderen kurzzeitig die Luft wegnimmt, er hält sich mit seinen Meinungen so gut wie möglich zurück und mischt sich nirgends ein. Ich habe den sprichwörtlichen Pfeffer im Arsch, er ist die personifizierte Gelassenheit. Im Grunde ergänzen wir uns hervorragend und leben unseren Grundsatz "Gegensätze ziehen sich an" lieber als die alte Leiher "Paare brauchen Gemeinsamkeiten". Wir sind jetzt bereits eine halbe Ewigkeit zusammen und es ist immer noch eine wunderschöne Beziehung. Eine jener Beziehungen, die sich auf wundervolle Weise stetig erneuert, auffrischt und nie langweilig zu werden scheint. Wir lassen uns gegenseitig jede Freiheit die der jeweils Andere benötigt um sich trotz langjähriger Beziehung selbst zu verwirklichen und sich zu entfalten. Wir haben uns zwar im laufe der Jahre bereits 3 Mal getrennt, aber ziemlich schnell immer wieder zueinandergefunden und bemerkt, dass wir einfach ohne den Anderen nicht leben wollen beziehungsweise können. Unsere Beziehung ist wie Gulasch – je öfter wir sie aufgewärmt haben, desto (geschmacks)intensiver ist sie geworden.

Er ist ein so warmherziger und gefühlvoller Mensch und unterstützt mich wo er nur kann, auch wenn er meine Entscheidungen nicht immer versteht. Er lässt mich alles ausprobieren, sei es ein neues Hobby, ein neuer (überteuerter) Selbstfindungskurs (im Gegensatz zu mir hat er sich nämlich bereits gefunden), er lässt mich überstürzt und spontan mit meiner besten Freundin das Land verlassen und akzeptiert auch meine plötzlich über mich kommenden Shoppinganfälle schier kommentarlos.

Bei unseren Streitereien geht es um liegengebliebene Socken (seinerseits) und ein verdrecktes, müllhaldenähnliches Auto (meinerseits). Also im Grunde um Nichts, doch diese Dinge werden lautstark ausdiskutiert bis es einem von uns beiden zu nervig wird und wir lauthals drauf los lachen.

Mein Gott. Ich weiß ganz genau warum ich ihn so sehr liebe.

 
Für mich gilt zweifelsfrei: Pech im (Fruchtbarkeits)Spiel - Glück in der Liebe.

 
Freundin 2 schwanger!

Phase 3: Das Warten auf den Storch.

Okay. Nicht ganz treffend. Der Storch bringt schließlich fertige Babys. Aber er muss doch auch von irgendwem die Information erhalten, dass er ein solches zustellen soll. Nehmen wir also an, er (der Storch) schaut vorher kurz vorbei und holt die Bestellung ab. Was aber, wenn dieses Mistvieh ums Verrecken nicht auftauchen will?

Genau genommen muss man die Wartezeit (auf diesen langbeinigen Nichtsnutz) auch in unterschiedliche Phasen einteilen:


1) immer noch euphorisch von der Idee angehaucht

2) sich selbst wundernd, warum es jetzt schon eine Weile dauert

3) die Phase in der man sich selbst zu belügen beginnt

4) die Phase in der man sich selbst belügt und den ganzen Mist auch noch glaubt

5) die "sich vor anderen Rechtfertigungsphase"

 
1) Man sieht alles wie durch eine rosarote Brille, malt sich alles in den schönsten Farben aus und spricht von nichts anderem. Das ganze Leben scheint sich nur mehr um Babys zu drehen. Außerdem werden immer mehr Freunde in den Kreis der Wissenden aufgenommen.

Ich gehörte in dieser Lebenslage zu den völlig Beknackten, und kaufte prophylaktisch eine Wickeltasche, Montag-Sonntags-Lätzchen und Babysöckchen (die gammeln jetzt seit 5 Jahren in den unendlichen Weiten meines Kleiderschranks dahin). Diese Phase kann - je nach Beknacktheitsgrad – verschieden lange andauern. Bei mir war es grob geschätzt 1 Jahr. 1 Jahr wahrscheinlich auch deshalb, weil es allgemein bekannt ist, dass es bis zu einem Jahr dauern kann, bis sich die Hormone der Verhütungsmittel im Körper abgebaut haben. In meinem Fall die Pille. Ich bin kein mathematisches Genie, aber dass ich seit meinem 15 Lebensjahr Daumen mal Pi 2500 Euro hätte sparen können, könnte sogar Chantal berechnen (jetzt kann ich mich angesichts der beidseitigen Fruchtbarkeitsdefizite darüber schwarz ärgern).


2) Jetzt ist es soweit: Die Euphoriefassade beginnt zu bröckeln und schön langsam aber sicher wundert man sich doch ein wenig über den eigenen Körper. Jetzt müsste er doch hormontechnisch schon clean sein. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nichts von Ovulationstests, Temperaturmessen und dem ganzen anderen Zeug, das jede Grenze meines Vorstellungsvermögens sprengt. Das war noch alles in weiter Ferne für mich. Und eines sei an dieser Stelle noch erwähnt: über den weiblichen Körper wusste ich zu diesem Zeitpunkt genau so wenig.


3) Diese Phase war für mich rückblickend eine der spannendsten und witzigsten. Sich selbst zu belügen kann wirklich amüsant sein. Es ist eine Mischung aus Rechtfertigung und Lügen. Man versucht wie Sherlock Holmes dahinter zu kommen, welche Beweggründe der eigene Körper haben könnte, nicht kugelrund und aufgedunsen werden zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich begonnen, mich im Internet schlau zu machen. Alles zum Thema Schwangerschaft saugte ich wie ein knochentrockener Schwamm in mich auf. Bewirkt hat das Ganze, dass ich immer noch keine Beweggründe des Körpers beantworten konnte, sondern noch viel schneller schwanger werden wollte. Mein Lügengerüst war durch den weisen Spruch "Gut Ding braucht Weile" so massiv wie das Stahlbetonfundament eines New Yorker Wolkenkratzers geworden. Darauf konnte man ohne mit der Wimper zu zucken drei neue World Trade Center bauen.
 

4) Ich wurde skeptisch, war eingeschüchtert und verstand die Welt nicht mehr. Andere hatten die Hose noch nicht mal bei den Knöcheln und wurden schwanger. Rundherum bekamen Freunde und Bekannte ohne Schwierigkeiten Kinder oder freuten sich über angehende Schwangerschaften. Und bei mir? Bei mir schlich sich langsam aber unaufhaltsam ein ganz ekelhaftes Gefühl ein: Neid. Groll und Zorn entwickelte sich. Als ich mir diese Tatsache in einer besinnlichen Minute eingestanden habe, empfand und beschrieb ich dieses Gefühl so: "Ich habe einen riesigen Brocken Wut und Zorn in mir und schleppe ihn tagtäglich mit mir herum". Kurz: Mir ging es beschissen. Aber ich hatte immer noch genug Rechtfertigungen parat:


- Ich weiß ja gar nicht, wann meine fruchtbare Zeit ist (Achtung Lüge! Jede Frau mit gesundem Menschenverstand weiß natürlich, wann der Eisprung an die Türe klopft)


- Mein Partner ist Montag bis Donnerstag auf Montage in einer anderen Stadt. Falls ich meine fruchtbare Zeit hätte, wäre er ja gar nicht da. (Dicke fette Lüge! Durch die Dauer der fruchtbaren Zeit über einige Tage völlig irrelevant!)


- Und die fetteste aller Lügen: ich richte doch mein Sexleben nicht nach einem Monatsplan aus! (In Wirklichkeit macht man das erstens schon intuitiv und zweitens: Wenn man darauf Einfluss hätte, würde man pünktlich auf die Minute Sex haben.)
 

Und bevor die Frage auftaucht: ja, ich glaubte diese Kacke tatsächlich. All das war mein Fels in der Brandung, meine Titanic des Selbstbetrugs!

 
5) Im Rechtfertigen mir selbst gegenüber war ich zur Höchstform aufgelaufen. Jetzt musste der Mist einfach noch an den Mann/die Frau gebracht werden. Die Freunde fragten schließlich bereits mehr oder weniger rücksichtsvoll nach. Immerhin war es schon eine ganze Weile her, als man ihnen "Die Idee" unterbreitete. Aber die Fragen prallten am Bug meines Hochseekreuzers ab wie Gummibälle an einer Granitmauer. Ich hörte mich selbst Dinge wie "das wird schon werden" sagen, den altbekannten aber immer noch funktionstauglichen Spruch "Gut Ding braucht Weile" rauswürgen (der schon fast zu meinem Lebensmotto mutierte) oder (auch ein Klassiker) "jetzt konzentrier ich mich mal auf die Arbeit". All das verließ meinen Mund ohne jegliche Anstrengung. Ich hatte es bereits verinnerlicht. Und dann tauchte dieser verfluchte Eisberg auf und brachte meine Titanic zum Sinken.

Phase 2: überschwängliche Freude gemischt mit dem Drang sich zu offenbaren

Frauen (im Allgemeinen und ich im besonderen) haben den starken Drang etwaige Veränderungen in ihrem Leben sofort ihrer besten Freundin mitzuteilen. Selbst, wenn die Veränderung noch nicht eingetreten ist - frau kann ja mal darüber sprechen. Ganz unverbindlich.

Das sieht in diesem speziellen Fall so aus:

Man nutzt das nächste Treffen mit der besten Freundin (nennen wir sie der Einfachheit halber Ela) und nimmt sich fest vor, die Angelegenheit so spannend wie möglich zu transportieren.

Ela sitzt schon im Cafe. Sie winkt. Küsschen links, Küsschen rechts.

"Was ist los mit dir?", fragt sie, als stünde die Neuigkeit in Leuchtbuchstaben irgendwo auf meiner Stirn.

"Nichts", antworte ich. (Spannung erzeugen.)

Ela hebt die Augenbrauen. Ein wissendes Grinsen zeichnet sich auf ihren Lippen ab. Ein Schulterzucken meinerseits lässt es verschwinden.

"Wir haben uns entschieden ein Baby zu bekommen!", brülle ich dann heraus, sodass das gesamte gut besuchte Cafe (und vermutlich die angrenzende Wohnsiedlung) jetzt von unserer Entscheidung weiß.

Ela beginnt zu lächeln (nach einer kurzen Schrecksekunde) "Echt? Das sind ja spitzen Neuigkeiten! Ich freu mich so für euch!" Sie springt auf. Umarmung. Küsschen. Ist das Leben nicht schön?

Allein in der Zeit dieser kurzen Kommunikation werden im weiblichen Körper geschätzte 2.000.000 verschiedene Hormone ausgeschüttet.

Dann entwickelt sich aus dieser Information ein mehrstündiges ideenreiches Gespräch, worin alles bis ins kleinste Detail durchgeplant wird. Nichts wird dem Zufall überlassen! Wir wussten zu diesem Zeitpunkt bereits, wann Ela auf mein Kind aufpassen müsste, wenn ich wieder arbeiten ginge. Es war alles so einfach. Wie andere mit dieser Aufgabe überfordert sein konnten, würden wir nie verstehen. Alles easy.


(mittlerweile, 5 Jahre später, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass ich im Planen von Menüvorschlägen für den nächsten Tag eindeutig geeigneter bin. Vorschläge, wie gesagt. Gekocht wird dann meistens etwas anderes.)

 
Es bleibt natürlich nicht bei der besten Freundin. Nein. Andere sollten es auch erfahren. Seltsamerweise unterscheidet man zwischen "die sollen´s wissen"- und "denen sag ich´s besser nicht"- Freunden. Unseren Eltern erzählten wir nichts. Und zwar deshalb, weil man den Überraschungseffekt damit zu Nichte machen würde. Ja, ja, der Überraschungseffekt. Sogar den versucht man zu planen. (Ich hoffe, an dieser Stelle bemerkt man meine Utopie.)

 
In der Zwischenzeit habe ich eine komplett andere Meinung zum Überraschungseffekt! Obwohl unsere Eltern mittlerweile von unserem Babywunsch wissen, würde allein die  positive Mitteilung einschlagen wie eine Bombe. Denn bei dem ganzen Pech, das wir schon hatten (und es ist kein Ende in Sicht), wäre eine Schwangerschaft definitiv eine Überraschung.


Wie sage ich es meinem Partner, dass ich schwanger bin? Wie den Eltern? Den Freunden? Welche coole, witzige, einzigartige Idee kann man da umsetzen? Babysöckchen, Tasse, das erste Fotoalbum mit Ultraschallbild. Alles sehr beliebt und wirklich originell.

Aber genau das stellte ich mir vor.

Am tollsten hätte ich gefunden, wenn ein positiver Schwangerschaftstest mit irgendeinem, für die Familie ohnehin bereits wichtigen Tag zusammenfallen würde. Nehmen wir mal an Weihnachten. Mit einer roten Schleife um den Bauch dem Partner mitzuteilen dass er Vater wird. Oder Geburtstage. Als Geschenk für den zukünftigen Opa ein kleines Werkzeugset zu verschenken, mit dem er dann mit seinem Enkel in der Werkstatt herumbasteln könnte. Auch der Muttertag wäre spitze gewesen. Da hätte meine Mutter sicherlich die Augen aufgerissen, wenn mir mein Hasi neben ihr eine Kleinigkeit zum Muttertag überreicht hätte. Meinen Bruder hätte ich ganz beiläufig einfach mal mit "Onkel" angesprochen und darauf gewartet bis es klick macht. Ach, es hätte so schön sein können.

Den Tag der Schwangerschaft wünscht man sich allein schon deshalb herbei. Wie werden die Reaktionen darauf sein? Freudentränen? Überraschte Gesichter?

Alles ist durchgedacht, geplant, noch einmal geändert, fixiert. Signed, sealed und delivered. Na, ja. Fast. Auf das Delivern warte ich bis heute!


Freundin 1 schwanger.

Phase 1: Die Idee


Die Idee besteht im Wesentlichen aus fünf einfachen Worten: Lass uns ein Baby machen!

Fünf Worte, die einem dermaßen leicht über die Lippen kommen, dass es schon fast lächerlich wirkt. Es scheint unglaublich, dass man überhaupt darüber nachdenken muss, diesen Schritt zu wagen. Als würde man überlegen, ob es sich auszahlt, den nächsten Atemzug zu machen.

Doch die Wirkung ist nicht lächerlich. Im Gegenteil. Sobald man diese Worte einmal ausgesprochen hat, verändert sich alles. Man freut sich auf den nächsten Meilenstein in der Beziehung. Auf eine neue und großartige Herausforderung im Leben. Gedanken wie "werde ich eine gute Mutter?" oder "wann wird Eduscho wohl das nächste Mal Babyzeugs im Sortiment haben?" schießen einem in einer Millisekunde ins Gehirn. Man überlegt, wie das Kind aussehen könnte, welche Charaktereigenschaften es wohl besser vom Einen oder vom Anderen Elternteil haben sollte und natürlich weiß man zu diesem Zeitpunkt bereits den Namen des Kindes. (Man hat schließlich die neuesten Studien verfolgt, in denen belegt wird, dass es Kevins, Marvins, Mandys und Chantals in der Schule schwerer haben, da die Lehrer schon mit einer schlechteren Leistung rechnen und sich diese meist dadurch auch einstellt. Aber mal abgesehen von der Leistung: als "Chantal" hast du´s wahrscheinlich in keiner Lebenslage leicht.)


Alles in Allem wissen doch alle (Frauen), welche Gehirnfürze einem da so in den Sinn kommen. Hier meine:


Vor meinem geistigen Auge sah ich mich bereits überglücklich meinem Partner um den Hals fallen und ihm von der Schwangerschaft erzählen. Ich sah meine Eltern voller Vorfreude auf das erste Enkelkind Freudentränen vergießen. Sah meine Freundinnen, die wie aufgebrachte Hühner jedes kleinste Detail über die Schwangerschaft aus mir rausquetschen, als wenn ich die erste Schwangere auf diesem Planeten wäre. Ich sah mich hocherhobenen Hauptes einen wunderschönen, riesigen, kugelrunden, mit Ölmassagen gepflegten Schwangerschaftsbauch durch die Gegend schleppen (Ich spreche von einem genial schönen Bauch. Ihr wisst schon: von vorne extrem schwanger, von  hinten einfach nur eine tolle Figur). Ohne Schwangerschaftsstreifen, ohne Wasser in den Beinen. Welche Frau wünscht sich das denn nicht? Ein Schwangerschaftstop mit dem Spruch "Pilotprojekt" oder "Nicht aufscheuchen! Ich brüte gerade ein Ei aus" gehörte ebenfalls dazu. Ich sah uns Kinderwagen aussuchen, Grundausstattung kaufen (mich sah ich eine zweite und somit überflüssige Grundausstattung besorgen), Kinderzimmer ausmalen (ein heller Gelbton mit selbstgemalter Bordüre mit afrikanischen Tieren). Die Eichenholzmöbel mit eierschalenfarbenen Fronten passten wirklich ausgesprochen gut zu dem schweren, gemütlichen Schaukelstuhl in dem ich mich zum Singen des Gutenachtlieds setzen wollte. Ich sah mich sogar vor Morgenübelkeit gebeutelt auf die Toilette krabbeln und mir die Seele aus dem Leib kotzen. Sogar  das war eine traumhafte Vision. Vor allem sah ich mich für den Anfang EIN Kind bekommen. In unser beider Familien sind Zwillinge an der Tagesordnung, diesem Trend wollte ich nicht unbedingt folgen. Ich sah unsere perfekte kleine Familie beim Spaziergang, sah wie glücklich wir wären. Ich konnte mich beim Besuch eines Babymassagekurses beobachten oder beim Babyschwimmen mit der neuen überteuerten Unterwasserkamera im Gepäck. Eine Schaukel im Garten, eine Sandkiste mit Katzendreck, winzig kleine mit Schlamm bedeckte Gummistiefel vor der Türe, Bastelarbeiten im ganzen Haus verteilt, winzige Fingerabdrücke an den frisch geputzten Fenstern und  Schokoladeflecken auf der neuen Couch. Ich sah mich als lustige, verspielte Mutter, mit der man als Kind viel Spaß haben konnte, aber auch als diszipliniertes, sich aufopferndes und strenges Muttertier. Und in meiner Vorstellung wusste ich (und das ist bis heute so), dass mein Freund der ideale, perfekte Vater sein würde.

 
Und wenn sie nicht gestorben sind.....
 

Diese Idee brennt sich mit sofortiger Wirkung ins Stammhirn ein und lenkt ab diesem Zeitpunkt das Leben in eine andere Bahn. Sie hatte eine Weiche gestellt und der Zug fuhr ab in Richtung Familie, Windel wechseln, Jause für den Kindergarten richten, Elternabende in der Schule besuchen, lustiges Kindergeplapper. Und ich wünschte mir, dass wir in einem Schnellzug sitzen – denn wir konnten es kaum erwarten, endlich anzukommen.

Zu Phase 1 bleibt mir aus der jetzigen Sicht nur eines zu sagen:

 
SCHEISSE - WAREN WIR NAIV!